Enod und das silberne Netz

Es begab sich zu jener Zeit, als der Winter zwei Monde länger gewesen war als jemals zuvor und jemals danach, dass die Menschen in Tornhaim Hunter litten. Im Flusse und im See war kaum ein Fisch; und wenn doch, so war er mager, nicht mehr als ein Bissen, der kaum mehr nährte.
Da kamen die Menschen zu Enod, der ein guter Fischer war und von dessen Hütte auch dieser Tage Rauch aufstieg. Wohl hatte er zu essen für die Seinen, aber mehr vermochte auch er nicht zu fangen. Die Menschen wussten um ihn und sprachen sodann: "Enod, du gesegneter der Herrin, vermagst nicht DU zu ihr zu sprechen? So versuche es um unseretwillen, denn hungern müssen unsere Kinder!"
Und Enod war ein guter Mann und tat, wie ihm geheißen. Am See der Herrin gab er ein Opfer von drei Fischen und der See erstrahlte silbern vom Sonnenschein auf seinen Wogen. Wieder einmal ward Enod geblendet und konnte nicht sehen, doch aber hören: "Nimm das Silber meines Sees und knüpfe ein Netz. Niemand wird hungern, der reinen Herzens und guten Glaubens ist."
Mit beiden Händen griff Enod in das silbern glänzende Wasser und spürte ein gar dünnes Garn an seinen Fingern. Als daran er zog, so war es ein silberner Faden, einundzwanzig Ellen lang. Aus diesem knüpfte er eine Netz nach alter Art und stellte es in den Fluss. Die Sonne zog ihre Bahn, ohne dass auch nur ein Fisch den Fluss entlang zog. So schlief Enod ein und erwachte erst, als ihm jemand an die Schulter stieß. Es waren Frauen aus dem Dorfe, die fragten: "Hast du etwas gefangen? Die Kinder schreien vor Hunger, und die, die nicht mehr schreien, die hungern nimmermehr!"
Enod aber zog das Netz aus dem Fluss und es war so schwer von Fischen, dass ihm die Frauen helfen mussten. So stillte der Herrin Segen in jenem Winter Tornhaims Hunger. Enods Netz aber verschwand mit den letzten Strahlen der Sonne.

Gehört und niedergeschrieben von Willm von Arlonsberg